Stadtrat Hans-Joachim Weinmann im Interview mit der Rheinpfalz

Veröffentlicht am 25.08.2014 in Sozialpolitik

„Raus aus den eigenen vier Wänden“

Hans-Joachim Weinmann (69) ist seit Juli Behindertenbeauftragter der Stadt Ludwigshafen. Er vertritt die Interessen von über 18 000 Behinderten und will sie motivieren, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Im Interview spricht er über seinen persönlichen Bezug zu dem Thema, Erfahrungen in der Innenstadt und seine Ziele.


Herr Weinmann, Ihr Vorgänger Norbert Breit ist früher für seine blinde Großmutter einkaufen gegangen. Dadurch hat sich sein Engagement für Behinderte ergeben. Gibt es bei Ihnen auch so ein Schlüsselerlebnis?

Ja. Ich hatte einen Kommilitonen, der an progressivem Muskelschwund litt. Als ich ihn kennengelernt habe, war er noch in der Lage, bis in seine eigene Wohnung im dritten Stock die Treppe zu nehmen. Am Schluss saß er im Rollstuhl. Ich habe mit ihm und Anderen Anfang der 70er Jahre den Behindertenverein IBF in Ludwigshafen gegründet. Wir haben zum Beispiel gemeinsame Urlaube organisiert.

 

Wie hat das funktioniert?

Wir haben in Gruppen zusammengewohnt, immer drei Behinderte und drei Helfer. Dann haben wir Ausflüge gemacht, zum Beispiel waren wir Schnellbootfahren. Die Behinderten, die im Rollstuhl bleiben mussten, sind auf dem Oberdeck festgezurrt worden. Wir haben auch die Ruinenstadt Pompeji und den Papstsitz Castel Gandolfo besucht. Selbst die Südtiroler Berge waren vor uns nicht sicher.

 

Was für Themen haben Ihren Kommilitonen beschäftigt, die Sie in Ihre Arbeit einfließen lassen können?

Am Anfang gab es für ihn nicht die Möglichkeit, im Rollstuhl eine Theateraufführung im Pfalzbau zu erleben. Später ist eine kleine Bühne für Rollstuhlfahrer aufgebaut worden. Mein Ziel ist es, dass in allen öffentlichen Gebäuden weitgehende Barrierefreiheit erreicht wird.

 

Ist das Stadthaus Nord, in dem Sie Ihre Sprechstunden haben, barrierefrei? Vom Europlatz aus muss man ein paar Stufen überwinden.

Ja, das ist ein Bau aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg. Es wäre zu aufwendig gewesen, vorne eine Rampe anzubauen. Man kann aber durch den Hof ebenerdig zum Fahrstuhl kommen. Mein Kommilitone hat zwar immer gesagt: „Ich bin nicht bereit, durch den Dienstboteneingang zu kommen“. Aber hier kommt auch der Dezernent von hinten rein, weil dort die Dienstwagen stehen. Da wäre mein Freund zufrieden. (lacht)

 

Ihr Vorgänger hat auf Honorarbasis gearbeitet. Sie arbeiten ehrenamtlich. Warum hat sich das geändert?

Es ist eine Satzung verabschiedet worden, in der meine Aufgaben festgelegt werden, vorher gab es das gar nicht. Es ist jetzt landesweit üblich, dass kommunale Behindertenbeauftragte ehrenamtlich arbeiten.

 

Was wollen Sie in den nächsten Jahren erreichen?

Die Behinderten müssen die Möglichkeit haben, am öffentlichen Leben teilzunehmen. Ich will sie aber auch selbst dazu motivieren, raus aus den eigenen vier Wänden zu gehen. In den 70er Jahren waren viele nur Zuhause, auch weil es für die Eltern ein zu großer Aufwand war, sie irgendwo hinzubringen. Das hat sich bis heute nicht geändert.

 

Bleiben Behinderte oft daheim, weil ihnen die Motivation fehlt, oder weil sie schlecht behandelt werden?

Beides. Ich stand mal neben einem Behinderten, der im Elektrorollstuhl saß, an der Ampel. Hinter uns sagte ein Mann: „Jetzt lässt man die Idioten auch noch alleine in den Verkehr.“ Ich habe mich umgedreht und gesagt: „Dieser Idiot hat ein Abitur mit 1,4 gemacht und studiert gerade.“ Erst in dieser Woche habe ich in der RHEINPFALZ wieder etwas gelesen: Ein Mitfahrer hat eine Frau, die auf dem Behindertensitzplatz in einer Bahn saß, gebeten, für eine ältere Frau mit Rollator aufzustehen. Daraufhin wurde sie angespuckt. Es kann also immer noch besser und mitmenschlicher werden.

 

Sind Sie dafür, dass behinderte Kinder in den normalen Unterricht integriert werden?

Es kommt auf die Behinderung an. Wenn ein Kind so weit beeinträchtigt ist, dass es das Fortkommen der Klasse verzögert, macht das keinen Sinn. Inklusion ist eine große Aufgabe, aber es kommt immer auf den Einzelfall an.

Und wie ist das beim Wohnen?

Wir haben Wohngemeinschaften zum Beispiel in Oggersheim und den Hohenzollern-Höfen, wo Behinderte und Nichtbehinderte zusammenleben. Solche Angebote sind genau das Richtige. Mein Freund hat immer gesagt: „Ich will weg von den weißen Kitteln.“ Also nicht gepflegt werden, sondern mit ganz normalen Menschen zusammenleben.

(Rheinpfalz vom 25.08.2014)

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